Vor genau einem Jahr stand ich auf einer Leiter im Büro und malte die Wände in unserem „Europe Lab“ bis in die Nacht mit einer senfgelben Farbe an. Das Senfgelbe sollte langsam mit einem Schwamm an der Wand ausgeblendet werden, laut Pinterest. Im Hintergrund lief Coldplay mit „Yellow“.
Es sollte sich gemütlich anfühlen, wenn man bei uns zu Besuch ist, dachten wir uns. Also nahmen Julia und ich uns vor, auch die Wand im Eingang mit einem großen senfgelben magnetischen Rechteck zu versehen. Platz für Fotos, Inspirationen, Erfolge und Ideen. Weil wir dann schon so dabei waren, haben wir spontan beschlossen, ein Whiteboard zu bauen. Eigenhändig. Ohne Pinterest.
Wir fuhren am selben Tag in den Baumarkt, um die Holzplatten auszusuchen, sie dann im Büro in eine Wolkenform zu schneiden, zusammenzukleben, mit LEDS zu versehen, an die Wand zu nageln und weiß anzumalen. Mehrfach. (Bitte nicht nachmachen!) Nach ein paar Wochen war es dann soweit, es war trocken und durfte beim ersten „Europe Lab“-Workshop, am 10. Januar 2018, großzügig beschriftet werden. #WirsindEuropa stand nun fett auf dem Whiteboard, das von ca. 40 jungen Menschen angestarrt wurde.
Zu sehen, dass Menschen verschiedener politischer Ausrichtungen und verschiedenen Alters bei uns zusammenkommen und miteinander darüber diskutieren, wie sie das europäische Bewusstsein in Österreich stärken können, war einfach überwältigend. Wir haben nicht nur Ideen und Anregungen für Europa-Projekte gesammelt, sondern auch viel Kraft geschöpft aus allen “Europe Lab”-Workshops. Diese Kraft hat uns vorangetrieben und uns begleitet durch alle Aktionen, die wir in diesem Jahr gewagt haben.
Wir waren dieses Jahr insgesamt dreimal auf Österreich-Tour in den Bundesländer unterwegs, vom Burgenland bis Vorarlberg, von Oberösterreich bis nach Süd-Kärnten. Wir haben Menschen zugehört, teilweise getröstet, aufgeklärt, Mut gegeben und ihre Gedanken zu Europa mitgenommen. Wir haben uns auf lange komplexe Gespräche eingelassen, um tiefsitzende Mythen und Missverständnisse über die EU aufzuklären. Das war eine unglaubliche Erfahrung.
Natürlich gab es auch Momente, in denen man sich gedacht hat: „Was tue ich mir hier eigentlich an?“, während man z.B. super erschöpft in einem Zugabteil, voll mit EU-Fahnen, von Bregenz nach Wien durch die Nacht fährt. Oder wenn man vor einem Einkaufszentrum steht und einem ständig ins Gesicht gesagt wird: „Scheiß auf die EU!“. Oder das Schlimmste von allen: Wenn man merkt, dass Menschen, die eigentlich für die Kommunikation zwischen der EU und dem Bürger zuständig sind, sich entweder nicht genug Mühe geben, ein Konkurrenzdenken entsteht oder sie schlicht und einfach nicht in der Lage sind, um das Problem in diesem Bereich wirklich zu verstehen.
Die positiven Erfahrungen überwiegen – immer. Der Moment, als wir es gemeinsam geschafft haben, am Europatag eine menschliche Europafahne am Wiener Stephansplatz zu bilden, öffentlich sichtbar zu sein, zu tanzen und zu singen. Als ein älterer Mann, der die EU laut abgelehnt hat, nach einem langen Dialog trotzdem auf unser Selfie mit der Europafahne drauf wollte. Der Moment, als wir mit einem Team von freiwilligen jungen Menschen, voll bepackt mit Europafahnen, in der Früh nach Schladming losgefahren sind. Als wir beim European Youth Event in Straßburg mit tausenden von EuropäerInnen voller Stolz im Hemicycle die Europahymne sangen. Als Julia und ich die schweren Holzplatten für das Whiteboard aus dem Baumarkt zum Auto getragen und dann gemerkt haben, dass sie zu groß sind.
Ich bin mir in diesem Jahr bewusst geworden, dass wir eine verdammt große Verantwortung tragen. Dass sich nichts an der heutigen Lage ändert, wenn nicht jemand diese schwierige Arbeit übernimmt und zu den Menschen direkt hingeht und mit ihnen über Europa spricht. Die Arbeit ist aber nur schwierig, wenn man nicht genug dafür brennt, für eine bessere Zukunft Europas zu kämpfen. Und ich glühe dafür. Nach wie vor.