Ich wache auf, schaue aus dem Fenster, es ist ein verregneter Sonntagmorgen. Trinke schnell eine Tasse Tee, schnappe mir eine europäische Flagge und gehe spontan mit ein paar Leuten auf die Straße um eine Kundgebung zu veranstalten. Das geht schon seit Februar so. Die Aktion nennt sich „Pulse of Europe“ und wer mal an einem Sonntag am Karlsplatz dabei gewesen ist, weiß auch wieso. Die Kundgebungen sollen ein Zeichen für den Erhalt Europas und der europäischen Idee setzen. Parallel zu Wien demonstrieren Menschen in 180 anderen Städten in 18 verschiedenen Ländern.
„Was? Wie jetzt, Europa?“, heißt es dann meistens von Anderen, die davon Wind bekommen. Dabei erwähne ich nicht mal die Hasspostings auf Social Media gegen die man ankämpfen möchte. Die Verwunderung ist oft groß über zivilgesellschaftliches Engagement dieser Art, besonders bei jungen Menschen. Dann kommt der Klassiker: „Wie kannst du bitte für die EU demonstrieren? Was hat die EU je Gutes für mich gemacht?“. Von wem diese Fragen gestellt wurden? Von einem französischen Erasmus Studenten, der sich für ein Semester in Österreich aufhielt um seine Bachelorarbeit zu schreiben.
Ich bin weder EU-Fan, noch Europa-Romantiker. Weder werde ich von jemanden dafür bezahlt, noch bin ich Teil irgendeiner dubiosen Verschwörung. Ich bin eine Studentin und halte es einfach für selbstverständlich für die europäischen Werte und Grundfreiheiten einzustehen. Ich bin dafür, dass Demokratie, Freiheit, Gleichheit und Frieden den Generationen nach uns erhalten bleibt. Dafür, dass wir an Lösungen glauben, statt Ängste. Dafür, dass sich ein gemeinsames, starkes Europa entwickeln und einigen kann und global mit einer Stimme auftritt. Wie sollen sonst die einzelnen europäischen Länder langfristig eine Chance haben, gehört zu werden oder ein Gewicht zu haben? Alles was ich möchte, ist es ein Forum zu schaffen, damit jede Stimme gehört werden kann. Besonders kritische Stimmen! Dass wir von Angesicht zu Angesicht über Themen reden und nicht nur via den sozialen Medien.
Leider erfahre ich immer wieder in meinem Umfeld, dass viele Menschen denken ihre Meinung zähle sowieso nicht und Europa betreffe sie nicht. Europa betrifft uns aber eben nur dann nicht, wenn wir nicht atmen. Trinken, studieren oder reisen.
Ja, ich bin maßlos enttäuscht von den StudentInnen in Österreich, besonders von den jungen politischen Denkerinnen und Denkern. Anstatt sich für eine gemeinsame Sache zusammenzuschließen, werden entweder Eigeninteressen verfolgt oder mit völliger Apathie reagiert. Da geht man lieber feiern und schläft dann erstmal aus; wen kümmert es schon wie sich die Dinge in der Welt so entwickeln. Dieses Problem, so erlebe ich es seit Februar, betrifft nicht nur die österreichischen „Pulse of Europe“ Sonntagsaktionen. Seien es Projekte wie die #FreeInterrailInitiave oder die Denkwerkstatt #GLOBART, bei dem ich zurzeit versuche junge Menschen zu erreichen, damit sie wichtige ImpulsgeberInnen kennenlernen. Oder seien es Mahnwachen, die in 19 anderen Städten in Europa letzte Woche gehalten wurden. Es haben sich hunderte von Menschen versammelt und Kerzen angezündet, nicht nur um der polnischen Bevölkerung beiseite zu stehen, sondern auch ein Zeichen für die Demokratie zu setzen. Zu zeigen, es ist mir nicht egal, was unseren NachbarInnen passiert. Mein Engagement ist wichtig – nicht nur bei einer Wahl. In Wien sind Solidaritätsbekundungen jedoch allgemein ausgeblieben.
Jetzt frage ich mich woran liegt das? Wieso liegt Österreich bzw. Wien im Vergleich zu den anderen Ländern so weit hinten mit ziviler Partizipation? Kann es sein, dass wir mittlerweile alle unsere Privilegien für selbstverständlich halten? Woran liegt es, dass wir nicht merken, dass diese Privilegien sehr wohl vergänglich und nicht für alle Zeit in Stein gemeißelt sind?
Jedenfalls gebe ich nicht auf daran zu glauben, dass sich die Lage bessern könnte. Wer sich ähnlich fühlt oder mir anschließen möchte, kann mich gerne jederzeit kontaktieren. Es bleibt uns nichts anderes übrig, denn wie es so schön heißt, die Demokratie scheitert nicht an den GegnerInnen, sondern an der Untätigkeit der DemokratInnen.
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